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  • Prominent besetztes Futter für die Schwurbler und Destruktiven: die Aktion #allesdichtmachen
  • Foto: picture alliance/dpa/Internetaktion #allesdichtmachen via Youtube

#allesdichtmachen: Der absurde Corona-Rohrkrepierer der TV-Stars

Kommentar –

Einer der markantesten Sätze der Pandemie geht auf das Konto des Gesundheitsministers: „Wir werden einander viel verzeihen müssen, in ein paar Monaten“, hat Jens Spahn schon früh festgestellt und das war und ist ziemlich wahr. Die Aktion #allesdichtmachen einer Reihe prominenter Kulturschaffender ist dafür ein weiterer Beleg.

Was sie aus meiner Sicht besonders schwierig zu ertragen macht, ist der ironische Ton. Diese vorgebliche Feingeistigkeit. 50 Videos haben die Macher veröffentlicht. Kurze Clips, in denen etwa Ulrich Tukur hochgestochen über die Sehnsucht nach dem Tod doziert. Erst er bringe Ruhe und Frieden. Man möge deswegen auch noch die Supermärkte schließen, damit endlich alle verhungerten. Jan-Josef Liefers singt derweil das abgegriffene Lied der gleichgeschalteten regierungstreuen Medien.

Sie sollen das tun, wenn sie möchten. Es ist ja ihr gutes Recht.

#allesdichtmachen: Was soll das?

Aber: Was soll das? 5000 Menschen auf Intensivstationen, die in diesem Moment um ihr Leben kämpfen. 80.000 Menschen, die bisher gestorben sind – und nach wie vor ist nur ein eher kleiner Teil der Bevölkerung infiziert gewesen. Dazu werden Lösungsvorschläge dringend benötigt. Aber Witze?

Nun ist sicher nicht alles Gold gewesen, was die Medien in den vergangenen 14 Monaten zum Thema veröffentlicht haben. Aber die Mär von der Gleichschaltung ist nun mal so falsch wie brisant. Medienhäuser wie zum Beispiel MOPO, Bild, FAZ, Spiegel und Welt haben auf einer Linie berichtet? Ein absurder Vorwurf. In der Bewertung der Situationen und Maßnahmen lagen zum Teil Welten allein zwischen diesen Titeln. Und es gibt noch Hunderte weitere in diesem Land. Und auch innerhalb jeder Redaktion gibt es unterschiedliche Perspektiven, die jeden Tag nachzulesen sind.

#allesdichtmachen: Die Schwurbler und Destruktiven applaudieren

Gleichzeitig ist es von so einem Bild nur noch ein Babyschritt zur „Lügenpresse“, dem Lieblings-Kampfbegriff der Rechten, der Destruktiven und Schwurbler.

Die applaudieren dann auch schon begeistert. Ken Jebsen, Roland Tichy – sie sind beglückt über die unerwartete Verstärkung.

Regierungs- und Medienkritik ist so wichtig wie nötig in diesen Zeiten. Natürlich wurde und wird da sehr viel Murks gemacht. Natürlich darf und soll man das sagen. Aber wenn eine Reihe eher privilegierter Künstler unterstellt, die Verantwortlichen hätten Lust an all den Verboten und Geboten, dann ist das mindestens egozentrisch. Für die meisten Politiker gibt es jeden Tag dramatischen Gegenwind der jeweiligen Lobby-Vertretungen für jede restriktive Maßnahme, die sie verantworten. Schwer vorstellbar, dass jemand so einen harten Eingriff wie eine Ausgangsperre entscheidet, weil es dafür Sympathiepunkte gäbe.

Wenn in der MOPO ein Kommentar erscheint, der eine Lockdown-Verschärfung befürwortet, dann ist das alles, aber ganz sicher kein Vorteil für unser Geschäftsmodell. Wir leben auch wesentlich von den Anzeigen derer, die Handel betreiben wollen und Veranstaltungen durchführen. Und Zeitungen werden im Lockdown ganz sicher nicht besser verkauft.

#allesdichtmachen: Aktion diskreditiert die, die um Leben kämpfen

Es gibt viele Menschen in diesem Land, die glauben, dass es sich lohnt, darum zu kämpfen, möglichst viele Leben zu schützen, auch, wenn es dafür zeitlich begrenzte restriktive Maßnahmen bräuchte. Und die auf der Basis vieler Daten argumentieren, ein konsequenter Lockdown sei für alle besser, als ewig langes halbgares Rumgeeier.

Das muss man nicht teilen. Das kann man völlig anders sehen. Geschieht ja auch. Und wurde und wird auch politisch vehement anders vertreten. Diese Leute aber mit einer aufwendigen Aktion als Pseudo-Gutmenschen und Obrigkeits-Fanatiker zu diskreditieren, das hilft nicht dabei, das Pandemie-Problem als das anzugehen, was es ist: nämlich eine gemeinsame immense Kraftanstrengung. Und sich dabei hinter dem Begriff „Kunst“ oder Ironie zu verstecken – das wirkt ein bisschen feige, finde ich.

Mal ganz bewusst unaufgeregt gesagt: #allesdichtmachen ist gelebte Meinungs- und Kunstfreiheit. Ein prominenter Debattenbeitrag. Und aus meiner Sicht eine große Enttäuschung. Weil es spaltet, und nicht zusammenführt. Keine neue Perspektive ergänzt und nach Egoismus mufft. Von den vielen, zum Teil sehr talentierten Leuten, hätte ich mehr erwartet. Und wenn ich sie das nächste Mal im Fernsehen sehe, werde ich an den Satz von Jens Spahn denken müssen. Auch nicht schön.

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