• Betteln für eine Kleinigkeit zu Essen, den meisten bleibt oft keine andere Wahl.
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Meinung: Hamburg, lass deine ärmsten Gäste nicht allein!

Jan Marquardt (58) ist seit September 2019 der Geschäftsführer des „CaFée mit Herz“ auf St. Pauli. Der sich ausschließlich über Spendeneinnahmen finanzierende Verein betreibt eine Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose und sozial Bedürftige. In seinem Gastbeitrag für die MOPO appelliert er an die Hilfsbereitschaft der Hamburger.

Mein neuer Job als Geschäftsführer des „CaFée mit Herz“ gefällt mir gut. Dennoch würde ich ihn eigentlich liebend gern schon bald wieder aufgeben. Wenn es Einrichtungen wie unsere so genannte Tagesaufenthaltsstätte (TAS) für obdachlose Menschen auf St. Pauli nicht mehr geben müsste, wäre Hamburg bestimmt ein besserer Ort. Aber bis wir mit gutem Gewissen schließen können, fließt bestimmt noch viel Wasser die Elbe runter.

Jan Marquardt (58) ist der Geschäftsführer des „CaFée mit Herz“.

Jan Marquardt (58) ist seit September 2019 der Geschäftsführer des „CaFée mit Herz“ auf St. Pauli. Der sich ausschließlich über Spendeneinnahmen finanzierende Verein betreibt eine Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose und sozial Bedürftige.

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Die armen Leute rennen uns täglich die Bude ein, die Schlange zum Mittagessen ist lang. Immer mehr Gäste kommen aus Ost- und Südosteuropa. Neben dem „CaFée mit Herz“, das sich frei aus Spenden finanziert, gibt es ja noch einige andere Tagesaufenthaltsstätten in der Stadt, deren Träger öffentliche Mittel erhalten. Alle haben sehr gut zu tun. Ein Boom der Armut und der sozialen Arbeit.

Wer in Deutschland scheitert landet im „CaFée mit Herz“

Hamburg ist eine der reichsten Städte Deutschlands und Europas. Es zieht deutschland- und EU-weit viele Menschen an, die hier ihr Glück suchen. Wenn sie scheitern, landen sie oft bei uns. Wer bei uns vor der Tür steht, bekommt alle Hilfe ohne Ansehen der Person oder der Herkunft: Wärme, Kleidung, Essen, Dusche, Beratung und medizinische Versorgung. Wir kochen 100 000 Mahlzeiten pro Jahr, versorgen Tausende Menschen über die Kleiderkammer oder die Arztsprechstunde, geben Schlafsäcke aus, machen aufsuchende Sozialberatung auf den „Platten“ im Viertel.

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Wer bei uns vor der Tür steht, kommt immer öfter aus Polen, Rumänien oder Bulgarien. Die so genannten EU-Ausländer stellen mittlerweile über die Hälfte aller Obdachlosen. Bei uns sind es manchmal bis zu zwei Drittel der Gäste. Als EU-Bürger genießen sie Freizügigkeit, suchen hier Arbeit. Wenn es nicht so gut läuft, sie etwa von ihren Vermietern oder Arbeitgebern abgezockt werden, oder sich Jobversprechen in Luft auflösen, landen sie ganz schnell auf der Straße.

Im Gegensatz zu Obdachlosen mit deutschen Papieren oder Nicht-EU-Migranten mit gesichertem Aufenthalt bietet unser Versorgungs- und Hilfesystem den EU-Ausländern: genau nichts. Hier zeigt sich ein Konstruktionsproblem der EU, in der es zwar den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Geld sowie Arbeitskräften gibt, aber keine gemeinsamen sozialen Standards.

Hamburg hat eine gute Infrastruktur für Hilfebedürftige

Unser schönes und reiches Hamburg hat eine gute Infrastruktur für die Hilfebedürftigen und Wohnungslosen. Es gibt kompetente Sozial- und Rechtsberatung. Die Fachstellen für Wohnungsnotfälle bemühen sich, von Räumung bedrohten Menschen ein Zuhause zu retten oder zu verschaffen. Die Stadt-Tochter „fördern & wohnen“ (f&w) bringt fast alle unter, die kein Dach über dem Kopf haben.

Fast alle sind aber eben nicht alle. Das Winternotprogramm von f&w und die Struktur der Sozialgesetzgebung machen immer öfter den Osteuropäern Schwierigkeiten, die eine Heimatadresse haben („dann ist der Heimatort zuständig, Sie sind ja nicht obdachlos …“). Wir reden hier nicht über eine soziale Hängematte, sondern lediglich über einen vor dem Erfrieren schützenden Übernachtungsplatz, den die Leute schon morgens wieder verlassen müssen! Es dreht sich nicht um den „Tourismus“ in die jeweils besten Sozialsysteme der EU, sondern schlichtweg um humanitäre Mindeststandards.

Hamburg muss mehr Herz zeigen

Hamburg muss mehr Herz zeigen. Zumindest eine standardisierte Minimalversorgung in Sachen Übernachtung, Gesundheit und für Grundbedürfnisse muss für alle drin sein, die in dieser Stadt scheitern. Es braucht öffentlich finanzierte Programme für diese Menschen: Sprach- und sonstige Bildungsangebote, Suchtberatung, Integration in den Arbeitsmarkt – und die Bereitschaft zur Mitwirkung dazu muss und darf erwartet werden.

Tagesaufenthaltsstätten wie das „CaFée mit Herz“ oder das „Herz As“ am Hauptbahnhof können all das nicht leisten. Hier muss die Stadt, die Politik, unsere ganze Gesellschaft ran. Wir dürfen diese Menschen nicht aufgeben und müssen mehr Verantwortung übernehmen.

Hamburg und Deutschland profitieren vom EU-Binnenmarkt

Wir alle, Hamburg und Deutschland, profitieren seit vielen Jahren vom EU-Binnenmarkt. Uns geht es auch oft ganz persönlich so gut, weil es die EU gibt. Dann dürfen wir die Kehrseite der Medaille der Freizügigkeit auch nicht ignorieren. Wir müssen die obdachlosen EU-Ausländer, die Ärmsten unserer Armen, innerhalb unserer Hilfesysteme einfach besser versorgen. Und sollte es auch ein paar Euro kosten. An Ideen mangelt es nicht, bisher nur am politischen und gesellschaftlichen Willen.

„Lass uns nicht allein, Hamburg!“

Wir aus dem „CaFée mit Herz“ und anderen Einrichtungen machen unsere Arbeit gern. Aber wir wünschen uns im Namen unserer vielen Gäste aus dem In- und Ausland zum Jahresende: Lass uns nicht allein, Hamburg! Wir wünschen uns mehr Herz für unsere Gäste. Egal, woher sie kommen.

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