• Aus Angst um ihre Freunde und Verwandte in Belarus möchten Alexander und Evgenia unerkannt bleiben. 
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Lage in Belarus eskaliert: Hamburger Paar: Wir machen uns Sorgen um unsere Familie

Seit den umstrittenen Wahlen in Belarus dauern die Proteste gegen Präsident Alexander Lukaschenko an. Trotz massiver Polizeigewalt lassen die Demonstranten nicht locker, Zehntausende versammeln sich seit Tagen in der Hauptstadt Minsk und fordern Neuwahlen. Die MOPO traf ein in Hamburg lebendes Ehepaar aus Belarus – die Lage in ihrer alten Heimat bereitet große Sorgen, gibt aber auch Anlass zur Hoffnung. 

„Die Menschen demonstrieren seit vielen Jahren, auch schon 2010 und 2015 – aber jetzt ist etwas anders“, erzählt Alexander. „In Belarus gibt es jetzt keine Angst, nur Hoffnung und den Willen, endlich etwas zu verändern“, findet auch seine Frau Evgenia. Aus Angst vor politischen Repressionen wurden hier ihre Namen geändert.

Belarussen in Hamburg: Wir haben Angst um unsere Freunde

Als das Künstlerehepaar Ende der 90er Belarus verließ, war die politische Lage im Land bereits angespannt. Für seine Entscheidung, Belarus zu verlassen, habe es mehrere Gründe gegeben. Zum einen den Umgang mit der Atomkatastrophe in Tschernobyl und zum anderen, die Politik: „Unsere Regierung war selbst ein Tschernobyl“, meint er.

Seit gut einer Woche protestieren die Belarussen nun gegen Lukaschenkos Wahlbetrug. Der Präsident, der das Land seit 26 Jahren autoritär regiert, verkündete Anfang August seinen Wahlerfolg: 80 Prozent der Stimmen soll er bekommen haben, seine Rivalin aus der Opposition lediglich knappe zehn Prozent. Bei den folgenden Protesten gab es erhebliche Gewaltausschreitungen seitens der Polizei.

Die Protestler bringen sogar Blumen mit

Von Freunden und Verwandten in Belarus hören sie viele schlimme Geschichten von Polizeigewalt und Verschleppungen. „Die Polizei nutzt schmutzige Methoden. Sie schlagen mit Stöcken auf die Leute ein, auf Männer und auf Frauen“, sagt Alexander. Auch Gummigeschosse und andere Waffen würden gegen die Demonstranten eingesetzt. Dabei seien die Menschen bei ihren Märschen durch die Städte völlig friedlich.

„Die Belarussen demonstrieren ganz ungewöhnlich“, erklärt Evgenia, „Sie sind sehr intelligent und menschlich. Sie wollen nicht kämpfen, die Frauen bringen sogar Blumen mit und nach den Demos wird die Stadt blitzblank hinterlassen.“ Doch die Befehle von Lukaschenko scheinen ein friedliches Vorgehen der Beamten nicht zuzulassen, immer wieder kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es wurden bereits über 7000 Protestler festgenommen – teils völlig willkürlich, wie Alexander berichtet.

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Ein Bekannter von ihm arbeitet in Belarus in einem Krankenhaus, von dort berichtet er, wie die Gefangenen mit Knochenbrüchen und schlimmen Blutergüssen aus den Gefängnissen kommen – die Verletzungen stammten wohl häufig von den Schlagstöcken der Polizisten.

Teilweise wird das Internet während der Demonstrationen abgeschaltet

„Ein Freund von mir ist früher kaum raus gegangen, nicht mal ins Geschäft, aber jetzt geht er auf die Straße, um zu demonstrieren“, sagt Alexander. Sein Freund sei schon etwas älter, trotzdem wurde auch er von der Polizei massiv zusammengeschlagen, doch das halte ihn nicht ab.

Über den Telegram-Kanal „Nexta“, mit mehr als zwei Millionen Abonnenten, könnten sich die Menschen vor Ort über die Entwicklungen informieren, erzählt Alexander. Doch teilweise schalte die Regierung das Internet ab, gerade nachts, während der Demonstrationen. „In den ersten drei Tagen nach der Wahl konnten wir unsere Freunde nicht erreichen“, erinnert sich Evgenia. Inzwischen sitze sie fast den ganzen Tag vor dem Computer, um sich über die aktuellen Ereignisse zu informieren. „Manchmal informieren wir dann auch unsere Freunde in Belarus“, sagt sie.

Tichanowskaja gibt den Belarussen Hoffnung 

Die Hoffnung in der ehemaligen Sowjet-Republik liegt momentan vor allem auf der Oppositionskandidatin Svetlana Tichanowskaja. Die Politikerin, die für ihren kurz vor der Wahl inhaftierten Ehemann eingesprungen war, musste nach Litauen fliehen – von dort aus gab sie kürzlich bekannt, dass sie bereit sei, die Führung des Landes übergangsweise zu übernehmen.

„Man kann nicht im Dunkeln kämpfen, man muss das Licht einschalten. Und Tichanowskaja hat das Licht eingeschaltet“, findet Alexander. Was Lukaschenko momentan tue, sei nicht gut für ihn, es würde ihm eher schaden, denkt der gebürtige Belarusse. „Er kann nicht mehr weiter regieren, er hat kein Land mehr zum Regieren.“

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Wie es nun in der „letzten Diktatur Europas“ weitergehen wird, ist noch unklar. Die EU wird am Mittwoch einen Sondergipfel zur aktuellen Lage abhalten, Putin warnte indes am Dienstag vor einer Einmischung von außen.

„Wir müssen gucken, was weiter passiert. Erstmal können wir nur für Belarus beten“, meinen auch Alexander und Evgenia.

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