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  • Ein Mann im Homeoffice (nicht der Autor!)
  • Foto: dpa

Homeoffice mit Kindern: Hilfe, ich drehe gleich durch!

Mein Kollege lacht am anderen Ende der Leitung, während ich versuche, mich zu konzentrieren. Mein beinahe vierjähriger Sohn hat sich parallel vor mir aufgebaut und fragt (als hätte er einen Sprung in der Platte): „Darf ich noch ein Eis? Darf ich noch ein Eis? Darf ich noch ein Eis?“ Ich versuche gnädig zu sein, schließlich hält er jetzt den vierten Tag in Folge die freiwillige Corona-Quarantäne durch. Heimarbeit ist eine Prüfung. Manchmal bin ich kurz vorm Durchdrehen. Heimarbeit ist gleichzeitig auch ein Geschenk. Das wird mir bewusster, je mehr ich darüber nachdenke.

Unser häuslicher Prüfungsraum hat 8,5 Quadratmeter, ein Fenster zur Straße und ist normalerweise das Arbeitszimmer meiner Frau. Neben meiner Tastatur klebt es, denn mein Lütter hat eben kurz überlegt, sein Wassereis dort zwischenzulagern.

Am Fuß spüre ich die Krümel von Knabber-Eulen, die er zuvor großzügig mit dem restlichen Raum geteilt hat. Er selbst sitzt auf dem Boden und glotzt aufs iPad. Kennen Sie den roten Bagger „Morphle“?

Homeoffice: Zwischen Dauer-Törööö und Arbeit

Meine Frau, die in Elternzeit ist, kümmert sich Tag und Nacht um unsere drei Monate alte Tochter, bei der gerade die Zähne in den Kiefer schießen und die darüber hinaus auch noch mit Koliken kämpft. Die Heimarbeits-Situation reduziert sich also mehr oder weniger auf meinen Sohn und mich. Wie lange? Keine Ahnung. Ich stelle mich auf mehrere Wochen ein.

Ich habe meinem Jungen ein Limit fürs Fernsehen gesetzt: Drei Stunden pro Tag, was er als zu wenig empfindet, in Wahrheit aber normalerweise seinem Wochen-Konsum entspricht. Weniger geht nicht, zumindest vom Gefühl her, bei mehr meldet sich mein schlechtes Gewissen.

Horror Homeoffice: Das Kind wird vorm Fernseher geparkt

Er guckt übrigens gerade wieder „Morphle“. Ich kenne die Folge bereits. Irgendwas mit einem Tiger. Sie lief gestern. Vorgestern auch. Glaube ich zumindest.

Wenn er das nicht guckt, lenkt er sich gerne mit Hörspielen ab. Vorzugsweise Benjamin Blümchen. Der mit dem Dauer-Törööö. Ich lese derweil Texte, suche nach Überschriften, diskutiere mit Kollegen, was wir berichten und wie wir es berichten. Ich halte das aktuell für eine noch wichtigere Aufgabe, als sonst.

Mein Sohn möchte nicht in sein Zimmer. Er könnte, aber er möchte nicht. Er will Gesellschaft, fürchtet sich bei Bedarf vor Geistern oder Monstern, hat also ausreichend Argumente, mich mit seinem Programm dauerzubeschallen. Dabei nicht die Übersicht zu verlieren, Geschichten richtig zu gewichten, die Menschen zu informieren, ist nicht leicht.

Was machen die, die nicht das Privileg Homeoffice haben?

Dazwischen Essen machen, meiner Frau auch mal die Kleine abnehmen, damit sie Zeit für ihren Sohn hat, der sie natürlich vermisst – obwohl wir in derselben Wohnung sind. Wir grooven uns hier noch ein, sagen wir uns, wird schon. Und ehrlich: Mein Sohn ist mit Abstand der fröhlichste Familienteil derzeit, seine gute Laune steckt an.

Während ich so nachdenke, wie das die ganzen Wochen gehen soll, fallen mir natürlich die Menschen ein, die nicht das Privileg haben, das ich habe. Die nicht die Möglichkeit des Homeoffice nutzen können, die in den Krankenhäusern, Supermärkten und Poststellen dafür sorgen, dass der Laden läuft.

Die Pflegerinnen, die lieber bei ihrem Sohn wären, aber nicht können, weil sie von der Gesellschaft gebraucht werden. Die Müllmänner und -frauen, Feuerwehrleute, Ärztinnen und Polizisten, die in den kommenden Wochen an ihre Grenzen gehen müssen, damit das System von Corona nicht in die Knie gezwungen wird. Die vielen Helfer, die außerhalb der Krise – teilweise mit schlechter Bezahlung – die Jobs erledigen, die viele nicht im Traum übernehmen möchten.

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Und während mir Benjamin Blümchen ins Ohr trompetet, denke ich an die Gastronomen, die Club-Besitzer, die vielen Klein-Unternehmer, Kurzarbeiter, die Selbstständigen wie meinen Bruder, der eine Gitarrenwerkstatt besitzt.

Mein Vater, ein alteingesessener Tischler, meine Mutter, die als Hebamme den Familien aktuell besonderen Halt geben muss. Sie alle haben Existenzängste, weil keiner wirklich prognostizieren kann, wie hart die wirtschaftlichen Folgen sein werden. Sie alle haben aber laufende Kosten, ihnen brechen Aufträge weg. Ich kann mich im Homeoffice um alles kümmern, relativ sorgenfrei.

Homeoffice kann auch eine Chance sein

Mein eigenes Problem ist aktuell nur, wie ich mein Nervenkostüm so entlaste, dass ich meinem Sohn gegenüber fair bleibe und er gleichzeitig vor Langeweile nicht anfängt, mit der Schere Löcher in die Wäsche zu schneiden. Das hat er nämlich gestern gemacht. Oder mit Tesafilm alle Stühle einzupacken.

8,5 Quadratmeter machen etwas mit einem, selbst nach nur vier Tagen. Mein Sohn hat das iPad zur Seite gelegt. Er sitzt jetzt auf meinem Schoß und tippt auf der Tastatur. Ich brauche also länger, um zum Schluss zu kommen. Möglicherweise finden Sie auch Buchstaben in einigen Worten, die da normalerweise nicht hingehören. Seien Sie also nachsichtig.

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Mein Sohn kuschelt sich an mich. Homeoffice (oder auch „Mobile Office“) kann dafür sorgen, dass wir wieder enger zusammenrücken. Daheim physisch, nach außen hin gedanklich. Dass wir mehr Demut empfinden gegenüber den Leuten, die als „systemrelevant“ identifiziert wurden.

Am Ende dieses Tages bin ich vermutlich wieder näher an dem Zustand, den ich eingangs beschrieben habe. Was soll’s. Dann bekommt der Junge eben auch heute ein Eis. Freut sich in einigen Monaten seine Zahnärztin. Törööö.

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