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  • Sanitäter tragen Olaf Ritzmann am Bahnhof Sternschanze zum Rettungswagen. Der 16-Jährige erliegt vier Tage später seinen Verletzungen.
  • Foto: Hirschbiegel

Straßenschlachten in Hamburg: Als ein 16-Jahriger nach einer Anti-Strauß-Demo starb

Sternschanze –

Hamburg stand unter Schock, damals, im August 1980: Bei einer gewalttätigen Anti-Strauß-Demo hatte es weit mehr als 100 Verletzte gegeben – und einen Toten! Olaf Ritzmann († 16) ist der einzige Mensch, der nach 1945 bei einer politischen Demonstration in der Hansestadt ums Leben gekommen ist.

„Für Frieden und Freiheit“ stand auf den CDU-Plakaten, die im Sommer 1980 in fast allen Stadtteilen standen. Darauf prangte das Konterfei des  Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß (1915-1988). Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident war damals bei den Linken etwa so beliebt wie Alexander Gauland (AfD) heute. Entsprechend groß war die Mobilisierung zu Gegendemos, als die CDU am 25. August zur zentralen Wahlkundgebung mit Strauß in die inzwischen abgerissene Ernst-Merck-Halle auf dem Messegelände einlud.

25. August 1980: 15.000 Demonstranten gegen Strauß

Der stramm konservative Politiker wurde aus Sicherheitsgründen mit dem Hubschrauber eingeflogen. In der Halle warteten 6500 jubelnde  Anhänger, der Bayer brillierte mit Sätzen wie: „Ich ess’ keine Sozis zum Frühstück. I ess’ nur, wos i mag.“ Draußen tobten derweil Straßenschlachten. Mindestens 15.000 Demonstranten waren zusammengekommen. Das Spektrum war breit: Die Jusos waren dabei, die DKP, aber auch der maoistische KBW.

Polizisten schützen sich am Bahnhof Sternschanze mit ihren Schilden vor Steinwürfen

Polizisten schützen sich am Bahnhof Sternschanze mit ihren Schilden vor Steinwürfen.

Foto:

Hirschbiegel

Dieser Kommunistische Bund Westdeutschland war damals wegen seiner Militanz gefürchtet. 3000 Polizisten aus ganz Norddeutschland sowie   Bundesgrenzschutz-Einheiten waren an diesem Tag in Hamburg zusammengezogen worden. Sie sicherten den Veranstaltungsort massiv ab. An der Stadthausbrücke flogen schließlich Steine, Barrikaden wurden gebaut. Die Polizei antwortete mit Tränengas. 

Straßenschlachten in der Hamburger City

Das „Abendblatt“ sprach damals von „Polit-Rockern“ und „Anarcho-Punkern“, die sich Straßenschlachten mit den Beamten lieferten. In der MOPO wurde der leitende Polizeidirektor Hermann Kruschka zitiert: „Gegen unsere Beamten wurde mit sagenhafter Brutalität vorgegangen.“ Tatsächlich wurden 102 Beamten verletzt. Die Zahl der verletzten Demonstranten blieb unbekannt.

Doch zur Wahrheit gehört, dass auch viele Beamte extrem hart zuschlugen, teilweise so hart, dass ihre – damals noch hölzernen – Schlagstöcke zerbrachen.

Nachdem sich die Situation in der City beruhigt hatte, verlagerten sich die Auseinandersetzungen ins Schanzenviertel. Vor allem rund um das Heiligengeistfeld tobten die Straßenschlachten bis in die Nacht. Gegen 20 Uhr setzten Demonstranten einen Bauwagen an der Glacischaussee in Brand und schoben ihn auf die Straße. Die Feuerwehr wurde von Gewalttätern am Löschen gehindert.

Olaf Ritzmann wird von S-Bahn erfasst

Auch am Bahnhof Sternschanze kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Protestlern und der Polizei. Beamte wurden mit Flaschen und Steinen beworfen. Unter den Demonstranten befand sich auch der damals erst 16 Jahre alte Olaf Ritzmann. Der Vollwaise war in einem Erziehungsheim aufgewachsen. Laut Polizei soll er zu einigen Demonstranten gehört haben, die gegen 21.15 Uhr von der Bahnbrücke über die Schanzenstraße aus Polizisten mit Steinen beworfen haben sollen. 

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Fakt ist: Um 21.23 Uhr wurde der Jugendliche auf den Gleisen von einer aus Richtung Altona kommenden S-Bahn erfasst. Dabei erlitt er schwerste Kopfverletzungen, er starb vier Tage später in einer Klinik. Bis heute werfen Linke der Polizei vor, den 16-Jährigen in den Tod getrieben zu haben. Sie sagen, Beamte hätten den Bahnhof gestürmt, und Olaf Ritzmann sei auf der panischen Flucht vor ihnen überfahren worden.

Diese Vorwürfe wurden schon unmittelbar nach dem 25. August erhoben. Am 6. September zogen mehr als 1000 Demonstranten durch die City. Sie trugen ein großes Spruchband: „Wir trauern um Olaf. Von der Polizei in den Tod gejagt.“

Am 6. September 1980 gingen in der City mehr als 1000 Menschen auf die Straße.

Am 6. September 1980 gingen in der City mehr als 1000 Menschen auf die Straße, weil sie die Polizei für den Tod des 16-jährigen Olaf Ritzmann verantwortlich machten.

Foto:

Hirschbiegel

Die Polizei wies jede Schuld am Tod des Jungen zurück. Sie erklärte, zum Zeitpunkt des Unfalls um 21.23 Uhr gar nicht mit Kräften im Bahnhof gewesen zu sein. Erste uniformierte Beamte seien erst um 21.29 Uhr auf dem Bahnsteig gewesen. 

In der linken Szene wurde ein „Ermittlungsausschuss“ gebildet, der nach eigener Angabe mehr als 100 Zeugenaussagen sammelte und Anzeige gegen die Polizei erstattete. Die Staatsanwaltschaft ermittelte – die Akte umfasste schließlich mehr als 300 Seiten. 1983 wurde das Verfahren  schließlich eingestellt. Die Begründung der Strafverfolgungsbehörde: Alle gegen Polizeibeamte in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe seien „unbegründet“.    

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