Hitlers Mann fürs Grobe: Dieser Hamburger löste den Zweiten Weltkrieg aus
„Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“ Diktator Adolf Hitler bellt am am 1. September 1939 so laut ins Mikrofon, dass überall im Reich die Volksempfänger dröhnen. In diesem einen Satz lügt Hitler gleich zweimal. Denn erstens haben die Kampfhandlungen bereits eine Stunde vorher, gegen 4.45 Uhr, begonnen. Vor allem aber kann von „zurückschießen“ nicht die Rede sein. Der Diktator hat den Angriff auf den Sender Gleiwitz, den er am Freitag vor 84 Jahren zum Anlass nimmt, den Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, selbst inszeniert. Ganz vorn dabei: Ein Hamburger, Hitlers Mann fürs Grobe.
„Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“ Diktator Adolf Hitler bellt am 1. September 1939 so laut ins Mikrofon, dass überall im Reich die Volksempfänger dröhnen. In diesem einen Satz lügt Hitler gleich zweimal. Denn erstens haben die Kampfhandlungen bereits eine Stunde vorher, gegen 4.45 Uhr, begonnen. Vor allem aber kann von „zurückschießen“ nicht die Rede sein. Der Diktator hat den Angriff auf den Sender Gleiwitz, den er am Freitag vor 84 Jahren zum Anlass nimmt, den Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, selbst inszeniert.
Und dieser Mann ist es, der im Auftrag von Reinhard Heydrich, dem Chef des Sicherheitsdienstes der SS (SD) diese Scheinattacke durchgeführt hat: der Hamburger Alfred Naujocks, der nach dem Krieg lange Zeit als Geschäftsmann auf St. Pauli lebte. Bei den Nazis ist er so etwas wie der Mann fürs Grobe. Naujocks, der bei Bedarf auch die Tarnnamen Hans Müller, Alfred Bonsen und Rudolf Möbert verwendet, führt im Laufe der Jahre etliche Spezialaufträge durch und schreckt dabei auch nicht vor Mord zurück.

Naujocks, geboren 1911 in Kiel und von Beruf Feinmechaniker und Maschinenbauer, tritt 1931 der NSDAP und der SS bei. Bei Straßenkämpfen mit Kommunisten und Sozialdemokraten erwirbt er sich den Ruf, besonders skrupellos und brutal zu sein.
Alfred Naujocks, ein Terrorist, der im Auftrag der SS mordet
Nach Hitlers Machtübernahme macht er beim SD schnell Karriere: Anfangs wird er lediglich als Fahrer eingesetzt, doch dann entdecken seine Vorgesetzen sein Talent für geheime Kommandosachen. Naujocks steigt auf zum Terroristen im Staatsauftrag. Sein unmittelbarer Chef: Reinhard Heydrich.
Seinen ersten Einsatz führt Naujocks 1935 aus. Er soll einen gewissen Rudolf Formis aufspüren, der von Prag aus mithilfe eines selbst gebauten Kurzwellensenders Hörfunksendungen gegen Nazi-Deutschland ausstrahlt. Naujocks dringt nachts in Formis‘ Hotelzimmer ein und erschießt ihn.

In der Slowakei, aber auch in den Niederlanden und Dänemark verübt Naujocks etliche Mordanschläge auf antifaschistische Widerstandskämpfer, wobei er es immer so aussehen lässt, als wären die Zielpersonen von ihren eigenen Leuten hingerichtet worden.
Naujocks lässt das britische Agentennetz in West- und Mitteleuropa auffliegen
Auch am sogenannten „Venlo-Zwischenfall“ ist Naujocks beteiligt: Dabei werden noch vor Kriegsausbruch 1939 ein holländischer Spion getötet und die beiden MI6-Mitarbeiter Richard Henrys Stevens und Sigismund Payne Best von Venlo aus nach Deutschland entführt, wodurch weite Teile des britischen Agentennetzes in West- und Mitteleuropa auffliegen. Das führt zum Rücktritt des niederländischen Geheimdienstchefs.
Naujocks wichtigster und folgenreichster Einsatz ist jedoch der fingierte Angriff auf den Sender Gleiwitz. Als die Amerikaner Naujocks 1945 befragen, erzählt er detailliert davon: Demnach hat er den Befehl am 10. August 1939 von Heydrich persönlich erhalten.

Naujocks quartiert sich in Gleiwitz, einer Stadt nahe der polnischen Grenze, in ein Hotel ein: das „Haus Oberschlesien“. Mehr als zwei Wochen wartet er dort. Am 31. August um 16 Uhr kommt endlich der Anruf aus Berlin mit dem vereinbarten Losungswort: „Großmutter gestorben“. Damit beginnt das „Unternehmen Tannenberg“.
Naujoks und seine Helfer verkleiden sich als polnische Rebellen
Der 27-jährige SS-Sturmbannführer und eine Handvoll weiterer SS-Männer brechen noch am selben Abend auf. Ihre Mission: Sie sollen den deutschen Rundfunksender „überfallen“. Kurz vor 20 Uhr erreicht das Kommando den Einsatzort. Die Polizisten an der Pforte sind eingeweiht, der Pförtner hat seinen Posten verlassen. Niemand im Sender hält den mit Maschinenpistolen bewaffneten Trupp auf. Im Betriebsraum überwältigen Naujocks & Co. vier Männer und bringen sie gefesselt in den Keller.
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Einer aus Naujocks Trupp, der fließend Polnisch spricht, hält dann eine Rede, die vom Sender ausgestrahlt wird. Darin heißt es: „Achtung, Achtung! Hier ist Gleiwitz. Der Sender befindet sich in polnischer Hand. Die Stunde der Freiheit ist gekommen …“ Nach einigen antideutschen Schmähungen schließt der Redner mit den Worten: „Hoch lebe Polen!“

Zurück bleibt ein Toter: Der 41-jährige Oberschlesier Franciszek Honiok. Seine Leiche soll als Beweis für den angeblichen polnischen Überfall dienen. Der bei der Gestapo als polenfreundlich bekannte Vertreter für Landmaschinen ist erst am Vortag in einem Nachbardorf verhaftet worden. Ein SS-Arzt verabreicht ihm eine betäubende Spritze, dann wird er bewusstlos am Sendegebäude abgelegt. Ob er an dieser Spritze stirbt oder von Naujocks oder einem anderen Beteiligten ermordet wird, ist bis heute nicht bekannt. Honiok ist damit der erste von rund 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs.
Naujoks ist verantwortlich für die größte Geldfälscheraktion der Geschichte
Durch die Kommandosache am Gleiwitzer Sender erwirbt sich Naujocks innerhalb der SS einen geradezu heldenhaften Ruf. Dennoch endet seine Karriere 1941 abrupt, als er – vermutlich aufgrund einer Unterschlagung – an die Front strafversetzt wird. Doch schon nach einem Jahr holt der SD ihn zurück. Danach leitet er in Skandinavien die sogenannte „Peter-Gruppe“, eine Terroreinheit, die Anschläge und politische Morde verübt.
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Naujocks wird von Heydrich auch betraut mit der Aufgabe, in großen Mengen gefälschte britische Pfund herzustellen, damit England zu überschwemmen und so die englische Wirtschaft in die Knie zu zwingen. Die größte Geldfälscheraktion der Geschichte: die „Operation Bernhard“ startet. Im KZ Sachsenhausen, in den KZ-Baracken 18 und 19, fälschen 144 jüdische Häftlinge mit Hilfe professioneller Geldfälscher ausländische Währungen, vor allem englische Pfundnoten im Nennwert von 132 Millionen Pfund, um die Volkswirtschaften der Alliierten zu destabilisieren.

Kurz vor Kriegsende läuft Naujocks in der Eifel zu den Alliierten über, wird von amerikanischen Soldaten gefangengenommen, nach Großbritannien gebracht und im Vernehmungslager Camp 20 in der Nähe von London mehrere Monate vom MI5 verhört. Naujocks sagt als Zeuge in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen aus. 1947 wird er in Dänemark verurteilt, aber schon nach drei Jahren entlassen. Danach siedelt er sich in St. Pauli an und ist als Kaufmann erfolgreich.
1960 kommt das Buch heraus: „The Man Who Started The War“
Seine Geschichte wird 1960 öffentlich, als der Journalist Günter Peis in London das Buch „The Man Who Started The War“ rausbringt. Seit Ende der 1950er Jahre ermitteln mehrere bundesdeutsche Staatsanwaltschaften wegen einer ganzen Reihe von Verbrechen gegen ihn. Keines der Verfahren führt zu einer Anklage. Noch einmal macht Naujocks von sich reden, als er Gerüchte über den späteren Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in die Welt setztt und behauptet, dieser habe bei Straßenkämpfen in den 30er Jahren in Lübeck schwere Verbrechen begangen.
1964 wird Naujocks „wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ in die Nervenheilanstalt Ochsenzoll eingewiesen. Kurz nach seiner Entlassung stirbt er 1966.