Vorbild für Deutschland: Warum Billstedts Gesundheitskiosk trotzdem das Aus droht
Es sollte ein Vorzeigeprojekt für ganz Deutschland werden: Der Gesundheitskiosk für Billstedt und Horn hilft den Ärmsten der Armen. Doch nun droht ihm das Aus, weil drei Krankenkassen aus der Finanzierung ausgestiegen sind. Die Empörung ist groß. Ärzte und Sozialeinrichtungen kritisieren die Entscheidung. Die Krankenkassen rechtfertigen sich und geben der Politik die Schuld.
Es sollte ein Vorzeigeprojekt für ganz Deutschland werden: Der Gesundheitskiosk für Billstedt und Horn hilft den Ärmsten der Armen. Doch nun droht ihm das Aus, weil drei Krankenkassen aus der Finanzierung ausgestiegen sind. Die Empörung ist groß. Ärzte und Sozialeinrichtungen kritisieren die Entscheidung. Die Krankenkassen rechtfertigen sich und geben der Politik die Schuld.
Für die Kinderärztin Susanne Epplée ist die drohende Schließung des Gesundheitskiosks an der Möllner Landstraße ein Drama. Die Leiterin des Instituts für Neuro- und Sozialpädiatrie an der Legienstraße in Billstedt erlebt jeden Tag, was es heißt, arm zu sein. Ihre kleinen Patienten kommen aus Familien, deren Eltern keine oder eine schlecht bezahlte Arbeit haben. Aus Familien, in denen das Geld und oft auch das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung fehlt. Aus Familien, die beengt in zu kleinen Wohnungen leben. Viele sprechen nur wenig Deutsch.
Kinderärztin in Hamburg: Gesundheitskiosk wichtig für sozial schwache Stadtteile
„Eine Institution wie der Gesundheitskiosk ist in einem sozial schwachen Stadtteil wie unserem enorm wichtig, um langfristig die Gesundheit der Menschen zu verbessern“, betont Susanne Epplée und kritisiert damit die vor einer Woche verkündete Streichung der Gelder durch die Techniker Krankenkasse, Barmer und DAK. Die Kassen hatten ihren Schritt mit dem neuen Spargesetz der Ampelkoalition und den damit verbundenen hohen Belastungen begründet.
Epplée weiß aus Erfahrung, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund den Kontakt zu Behörden scheuen. „Sie haben mit staatlichen Institutionen in ihren Heimatländern schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt die Kinderärztin. Umso wichtiger sei es, dass es unabhängige und niedrigschwellige Einrichtungen wie den Gesundheitskiosk mit seinem multikulturellen Berater-Team gibt. „Der Gesundheitskiosk schafft es, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und sie in dem intimsten Bereich, nämlich in Fragen der Gesundheit, anzuleiten“, so Epplée.
Ärztin: Gesundheitsvorsorge spart teure Operationen
Studien belegen seit Jahren, dass Menschen in sozial schwachen Gegenden kränker sind als wohlhabende Personen. Das gilt auch für die Kinder. „Die Gesundheit der Kinder ist nur so gut oder so schlecht wie die Gesundheit der Eltern“, sagt Susanne Epplée. Entscheidend sei die Ernährung, Bewegung, Bildung und der Medienkonsum.
Umso wichtiger ist es aus Sicht der Ärztin, Angebote zur Verbesserung der Versorgungslage zu erhalten und die Situation nicht durch Kürzung von Geldern zu verschärfen. Denn am Ende, so Epplée, wird da am ganz falschen Ende gespart. „Der Gesundheitskiosk führt Familien an die Gesundheitsvorsorge und einen gesunden Lebenswandel heran. Dadurch werden teure und komplexe Operationen und Krankenhauseinweisungen vermieden.“
Sozialverband Deutschland: Stadt muss den Gesundheitskiosk erhalten
Ähnlich äußert sich der Sozialverband Deutschland: „Man muss klar sagen, dass eine gute Gesundheitsberatung dazu beiträgt, dass die Menschen weniger krank werden. Das bedeutet für die Kassen, dass sie deutlich Kosten einsparen. Insofern verstehe ich nicht ganz, warum sich jetzt gleich drei von ihnen aus dem Gesundheitskiosk zurückziehen mit dem Argument, dass die Beratungen nicht in den Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherungen fielen“, erklärte Klaus Wicher, Vorsitzender des Sozialverbands in Hamburg.
Wicher sieht den Gesundheitskiosk als die Chance, verschiedene Angebote auch aus Verwaltung und Nachbarschaft im Stadtteil unter einem Dach zu bündeln. So könne die Einrichtung als Zentrum „zum Schlüssel im Kampf gegen Armut werden, denn sie bieten allen die Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft“. Der Sozialverbandsvorsitzende forderte die Stadt Hamburg auf, sich einzuschalten und das Angebot aufrechtzuerhalten.
Sozialeinrichtungen üben scharfe Kritik an den Krankenkassen
Auch die Stadtteilkonferenzen Billstedt, Horn und Mümmelmannsberg äußern scharfe Kritik am Vorgehen der Krankenkassen: „Wir sind verwundert und empört über den geplanten Ausstieg dreier Krankenkassen, der die Zukunft des Gesundheitskiosks dramatisch gefährdet“, heißt es in einem an die MOPO gerichteten Statement.
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Durch die medizinisch-pflegerische Beratung im Gesundheitskiosk werde die sozialpädagogische Arbeit in den Stadtteileinrichtungen wie den Elternschulen, Schulen, Kitas oder Vereinen sehr gut unterstützt, die Angebote würden sich perfekt ergänzen. „Für die Gesundheitsversorgung der Bewohner:innen unserer Region ist der Gesundheitskiosk eine wichtige, hilfreiche und sehr gut akzeptierte Bereicherung der bestehenden Angebote, auf die wir nicht verzichten können. Der Gesundheitskiosk muss bleiben, seine Finanzierung muss auf Dauer gesichert werden“, so Bettina Rosenbusch, Koordinatorin des Netzwerks „Billenetz“.