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  • Aussichtsplattform am Stintfang auf St. Pauli. Jerzy (†) lebte dort mit anderen Obdachlosen zusammen.
  • Foto: Marius Roeer

Eine Spurensuche: 13 obdachlose Menschen sind gestorben – das sind ihre Geschichten

Eine reiche Stadt. Heerscharen von engagierten Helfern. Hilfseinrichtungen, die allen ein Dach über dem Kopf bieten sollen. Und trotzdem sterben Menschen in der Eiseskälte auf Hamburgs Straßen. 13 insgesamt bisher in diesem Winter.

MOPO-Reporter Daniel Gözübüyük ist auf Spurensuche gegangen. Hat zusammengetragen, was von den Toten bekannt ist. Zum Teil wenig, ein Name nur und ein paar Informationen zu Gewohnheiten oder Eigenarten. Zum Teil mehr, ein kleines Porträt ergibt sich. Klar ist: Es waren Menschen, die kaum Bindung hatten zu unserer Gesellschaft. Die den Hilfsangeboten nicht trauten. Die erfroren. Verunglückten. Oder schlicht aufgaben. Ein Trauerspiel.

Von hier aus schaute Jerzy gern den Schiffen zu

Von der Aussichtsplattform am Stintfang (St. Pauli) hatte Jerzy (48) immer einen guten Blick auf die Elbe. Jerzy, der aus Polen kam, liebte das Wasser. Als Kind wollte er Kapitän werden. In Hamburg platzten seine Träume, er rutschte ab, fand bei anderen Obdachlosen Zuflucht. Jerzy wollte nie allein sein, erzählt ein Wegbegleiter, „das konnte er nicht ertragen“. Der 48-Jährige starb an Silvester. Die Obduktion ergab, dass er erstickt ist. 

Josef lehnte einen Platz in der Notunterkunft ab

Mit zwei anderen Obdachlosen hauste Josef unter der Brücke nahe der Bahnstation Landungsbrücken, direkt an der Straße Helgoländer Allee. Niemand wusste genau, wie alt Josef war – zwischen 50 und 60 Jahren vielleicht, schätzen die, die ihn kannten. Wie viele andere Obdachlose in Hamburg lehnte Josef eine Unterbringung in einer Notunterkunft ab. Er fürchtete sich vor Gewalt, Diebstahl und vor dem Coronavirus. Am Ende erlag er der Kälte. Einer der anderen Obdachlosen, die unter der Brücke ihren Schlafplatz haben, informierte die Polizei in der Nacht zum 12. Februar über Josefs Tod.

Landungsbrücken an der Helgoländer Allee nahe der U-Bahnstation

Josef (†) lebte unter den Landungsbrücken an der Helgoländer Allee nahe der U-Bahnstation.

Foto:

Marius Röer

Emil schlief im Parkhaus ­— und starb dort auch

Weit weg von der Innenstadt und den zentralen Flaniermeilen streifte Emil in Barmbek-Nord durch die Straßen, suchte dort Tag für Tag Schutz vor der Kälte. In der Nacht zum 16. Januar legte sich der 57-Jährige im Treppenhaus eines Parkhauses an der Fuhlsbüttler Straße hin – und wachte nicht mehr auf. 

Fiete trug viel zu dünne Kleidung. Er wurde nur 36 Jahre alt

Fiete, der auch „Grinsi“ genannt wurde, redete nicht. Er lächelte nur. Der erst 36-Jährige trug stets viel zu dünne Kleidung, suchte im Wohngebiet an der Weimarer Straße in Wilhelmsburg Unterschlupf in Sträuchern, in Hauseingängen oder unter Vordächern. Am 12. Januar wurde er tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes sind noch ungeklärt, Untersuchungen laufen. Vermutlich aber erlag Fiete der Kälte.

Karsten wanderte lächelnd durch die Nachbarschaft

Karsten suchte Wärme unter einer Plastikplane. Doch am Ende schützte sie ihn nicht ausreichend vor der Kälte. Bauarbeiter fanden ihn an der Habermannstraße in Lohbrügge – es war ein Samstag Anfang Dezember. Sein Körper war erstarrt. Eine Frau, die in dem Mehrfamilienhaus wohnt, vor dem der 64-Jährige gefunden wurde, erinnert sich: „Für eine kurze Zeit wanderte er in der Nachbarschaft umher. Er lächelte, wenn man ihn ansprach, lehnte aber Hilfe ab.“

Jacob kam oft zu spät. Seine Freunde vermissen ihn sehr

Jacob lebte zusammen mit drei anderen Obdachlosen an der Mönckebergstraße in der City. Zusammen zogen sie nachts von Eingang zu Eingang. Der 55-Jährige soll zuletzt viel geschlafen haben, zu Verabredungen oft zu spät gekommen sein. „Das war schon in der Schule so, erzählte er uns immer. Immer trödelig und verplant sei er gewesen“, sagt Manfred, einer seiner Freunde. In der Nacht zum 4. November 2020 hörte Jacobs Herz in einem Krankenhaus auf zu schlagen. Er wurde zum ersten toten Obdachlosen in diesem Winter. „Wir vermissen ihn. Lieben ihn. Und werden ihn nie vergessen.“

Thomas galt als verlässlich. Und starb an einer Überdosis

Zusammengekauert auf einer dünnen Isomatte soll Thomas im Schanzenpark gelegen haben. Hinter einem Klohäuschen, direkt beim noblen „Mövenpick-Hotel“. Ein Spaziergänger fand ihn an Neujahr und rief die Polizei. Früher war Thomas Verkäufer bei „Hinz & Kunzt“, später verfiel er verschiedenen Drogen. Zum Junkie wurde er aber erst als Obdachloser. Mit den Drogen, so erzählen Wegbegleiter, habe er seine Schmerzen lindern wollen. Thomas galt als verlässlich und freundlich, als einer, der Schulden begleicht. Er starb an einer Überdosis.

Schanzenpark Klohäuschen Mövenpick-Hotel

Thomas (†) war Hinz&Kunzt-Verkäufer. Er lebte im Schanzenpark vor einem Klohäuschen am Mövenpick-Hotel.

Foto:

Marius Röer

Paul nahm sich am 11. Januar das Leben

Paul lag tot auf dem Vordach eines Gebäudes an der Nordkanalstraße, direkt hinter einem Standort des Winternotprogramms. Er soll sich gelegentlich mit Jobs Geld dazuverdient haben. Am 11. Januar nahm er sich das Leben.

Josef war Fotograf. Sein liebstes Motiv: ein Kormoran

Josef verkaufte „Hinz & Kunzt“-Zeitschriften im Rahlstedt-Center, war niemals aufdringlich, sondern galt als sehr geduldig und rücksichtsvoll. Der Slowake liebte die Fotografie. Bei einem „Hintz & Kunzt“-Wettbewerb holte er sogar den ersten Platz. Sein Motiv: ein Kormoran, der an der Außenalster die Flügel aufschlägt. „Ich habe mir jetzt sogar beigebracht, Fotos am Computer zu bearbeiten. Man kann an den Farben noch ‘ne Menge machen. Aber der Kormoran, der sieht wirklich so aus!“, hatte der 53-Jährige nach seinem Triumph gesagt. Am 23. Januar zogen ihn Feuerwehrleute aus dem Billhorner Kanal (Rothenburgsort), unweit der Notunterkunft an der Friesenstraße. Dort hatte er die Nächte davor verbracht. Todesursache: Ertrinken.

Jonathan sprang einen Tag vor Heiligabend in den Tod

Jonathan, ein erst 30 Jahre alter Mann, nahm sich kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember, das Leben: Er sprang von der Hebebrandbrücke am Rübenkamp in den Tod.

Leslaw starb auf dem Kiez an einem Herzinfarkt

Ob Corona oder nicht: Obdachlose gehören zum Kiez. In normalen Zeiten flanieren an Wochenenden hier Zehntausende an ihnen vorbei. Zurzeit ist es einsam auf der Reeperbahn. Einer, der dort auf der Straße lebte, war Leslaw. Er lag oft in einem Hauseingang neben der Haspa, freute sich über Unterstützung herzlich, berichten Helfer. In eine Notunterkunft wollte er nicht, er hatte Angst vor anderen Menschen – und vor Corona. Der Verein „Leben im Abseits“ unterstützte ihn mit Lebensmitteln, Masken und Desinfektionsmitteln – bis zu seinem Tod. Leslaw erlitt am 8. Januar einen Herzinfarkt, wahrscheinlich ausgelöst durch die Kälte.

Reeperbahn Hamburg Haspa

Leslaw (†) an seinem Platz auf der Reeperbahn, unweit der HASPA.

Foto:

Marius Röer

Der Alkohol, der ihn wärmen sollte, tötete Robert

Der billige Alkohol, den er sich gerade so leisten konnte, sollte Robert warmhalten. Ihn vor der Kälte schützen. Aber das funktionierte nicht. Der Fusel wurde ihm zum Verhängnis. Man fand Robert (45) am 4. Januar tot unter dem Dachvorstand eines Mehrfamilienhauses an der Virchowstraße (Altona-Altstadt). Die in der Rechtsmedizin festgestellte Todesursache: Alkoholvergiftung.

Stanislaw starb, weil sein Zelt Feuer fing

Stanislaw wohnte in einem Zelt auf dem Hauptfriedhof Altona. Dort hatte er seine Ruhe, das gefiel ihm. Er wollte keine Hilfe, hatte aufgegeben, danach zu fragen. Er redete mit niemandem. Der 65-Jährige wärmte sich in der Nacht zum 2. Januar Essen mit einem Gaskocher auf. Dass der defekt war, wusste er nicht. Ein Feuer brach aus, im Inneren des Zeltes loderten innerhalb von Sekunden Flammen. Stanislaw schleppte sich schwer verletzt ins Freie, starb kurz darauf an den Verbrennungen.

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