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Professor Matthias Glaubrecht sitzt in seinem Garten
  • Wildnis im Garten: Professor Matthias Glaubrecht überlässt die Natur hinter seinem Haus sich selbst.
  • Foto: Florian Quandt

Chaos im Garten: Das können Sie gegen das Artensterben tun

Blumen in Reih und Glied, farblich aufeinander abgestimmt und bloß kein Unkraut dazwischen – so sah es lange auf Hamburgs Balkonen oder in den Gärten der Einfamilienhäuser aus. Doch dieses Ideal beginnt sich zu wandeln. Immer mehr Menschen lassen der Natur ihren Lauf – in der Hoffnung, einen Beitrag im Kampf gegen das Insektensterben zu leisten.

Wenn Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität, aus dem Fenster in seinen Garten am Hamburger Stadtrand blickt, dann sieht er Wildnis wuchern. Gänseblümchen geben sich mit Hirtentäschel einen Wachstums-Wettbewerb. Selbst der Giersch, Feind aller Hobby-Gärtner, wird in seinem Feldzug nicht gestoppt.

Vom Unkraut zur Delikatesse: Die neue Aufwertung des Giersch

„Bei uns wächst das, was da nun mal wächst“, sagt Glaubrecht. „Wir überlassen den Garten sich selbst.“ Damit ist der Wissenschaftler Vertreter eines Trends, der inzwischen viele erfasst hat. Tausende sind dem Aufruf der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft zum „No Mow May“ gefolgt und haben ihren Rasen im Mai nicht gemäht, damit die Bienen und Hummeln genug Nahrung finden. Bioversandgärtnereien erfreuen sich eines reißenden Absatzes. Und im Internet finden sich immer mehr Rezepte, die dem Giersch im Salat, Pesto oder als Quiche einen ganz neuen, kulinarischen Wert bescheren.

Die Geranien-Ära, so scheint es, geht dem Ende entgegen. Stadtbewohner, die ihre Gärten oder Balkone in den vergangenen Jahrzehnten zu reinen Kunstprodukten machten, besinnen sich zurück auf die Natur. Und das ist gut so.

Hamburger Professor: Das können Sie gegen das Artensterben tun

„In Deutschland ist die Biomasse an Insekten in den vergangenen 30 Jahren um 80 Prozent zurück gegangen“, berichtet der Professor. Nur wenige erinnerten sich noch daran, dass man früher ständig die Windschutzscheibe sauber machen musste, weil so viele Insekten daran kleben blieben. Heute kann davon keine Rede mehr sein, weil zu wenig Fliegen in der Luft sind. Folge: Auch die Vogelwelt, die sich von Insekten ernährt, hat sich in den letzten drei Jahrzehnten halbiert.

Professor Matthias Glaubrecht späht zwischen seinen Rhododendren hindurch. Florian Quandt
Professor Matthias Glaubrecht späht zwischen seinen Rhododendren hindurch.
Professor Matthias Glaubrecht späht zwischen seinen Rhododendren hindurch.

Zwar weist Glaubrecht darauf hin, dass die größte Schuld für das Artensterben bei denjenigen liegt, die die industrielle Landwirtschaft mit Monokulturen und Pestizid-Einsatz betreiben sowie bei denjenigen, die den brasilianischen Regenwald roden. Nur wenn dieser „Kriegszug gegen die Natur“, wie Glaubrecht es nennt, gestoppt würde, könne das Artensterben wirklich aufgehalten werden. Dennoch könnten die Bürger mit Wildblumenwiesen im Garten, mit begrünten Dächern, mit Vogeltränken und Insektenhotels zumindest einen kleinen Beitrag leisten.

Experte: Pflanzen Sie so, dass es das ganze Jahr über Blüten gibt

„Wichtig ist es, so zu pflanzen, dass es das ganze Jahr über Blüten gibt“, so Glaubrecht. Dabei lieber Rhododendren setzen als Rosen, weil bei ihnen die Bienen nicht gut durch die Blätter an die Staubgefäße kommen. Der BUND empfiehlt, einfach gestaltete, ungefüllte Blüten zu wählen wie Gewürzblüten, Fingerhut, Mohn oder Storchenschnabel. Pflanzen also, die viel Nektar und Pollen haben.

Professor Glaubrecht empfiehlt darüber hinaus die Anpflanzung von Hecken. Denn sie sind ein wichtiger Nistplatz für Vögel. Genauso wie alte Bäume, die bloß nicht aus Angst vor dem nächsten Sturm gefällt und durch eine Jungpflanze ersetzt werden sollten. Es dauert viele Jahre, bis der Nachwuchs die biologische Funktion seines Vorgängers erreicht.

Der Tod im Garten: Biologe warnt vor Einsatz von Mährobotern

Auch Nacktschnecken gegenüber fordert Glaubrecht Toleranz. „Schnecken sind der zweitgrößte Tierstamm nach den Insekten und Teil der Biodiversität.“ Die Salatfresser hätten als Aasfresser und Kompostierer eine wichtige Aufgabe in der Natur. Im Übrigen könne man sich den Kampf gegen sie gleich sparen. „Man wird sie sowieso nicht los.“

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Ein Dorn im Auge sind dem Professor vor allem die modernen Mähroboter. „Sie halten nicht nur den Rasen kurz, sondern häckseln alles kurz und klein, was da so kreucht und fleucht.“ Für Glaubrecht sind Mähroboter „absoluter Unfug“, da sie sowohl die Pflanzen-Vielfalt als auch die der Insekten und Vögel zerstört.

„Natur ist nicht ordentlich. Wir müssen die Unordnung nur zulassen“, sagt Glaubrecht. Bei ihm selbst zu Hause macht sich das schon bezahlt. Der Professor hat schon 37 verschiedene Wirbeltierarten in seinem Garten gezählt. „Manchmal steht morgens ein Reh auf der Wiese“, erzählt er. Aber auch Mäuse, Marder und diverse Vogelarten fühlen sich bei Glaubrecht wohl. Und darüber freut sich der Professor mindestens genauso sehr wie seine Kinder.

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