x
x
x
  • Siegrid Dreßler (87, l.) und Karin Hoffmann (90) sind glücklich, dass sie sich wieder im Kaminzimmer treffen können. 
  • Foto: Florian Quandt

Bewohner und Pfleger atmen auf: Nach Corona-Krise: Im Altenheim ist das Leben zurück

Rissen/Hohenfelde –

Diese Stille. Keine angenehme, friedliche. Eine fast gespenstische. Das war es, was Sylvia Böttcher (40) besonders zu schaffen machte. Kein Lachen, kein gemeinsames Essen, keine Besuche. Anfangs sei es eine traurige Zeit für die Bewohner gewesen. Die Altenpflegerin geht den Flur entlang. Aus der Bibliothek dringt Musik. 13 Damen bei der Morgengymnastik im Kreis. Im Kaminzimmer sitzen zwei Bewohner in beigen Ohrensesseln und unterhalten sich. Sie lachen.

Endlich wieder Leben im Hartwig-Hesse-Haus am Klövensteenweg (Rissen). Zum heutigen internationalen Tag der Pflege besuchte die MOPO das Seniorenheim und die Tagespflege der Hartwig-Hesse-Stiftung in Hohenfelde. Zwei Einrichtungen auf dem Weg zurück zur Normalität.

Internationaler Tag der Pflege: Wieder Normalität nach Corona?

Eigentlich ist Singen „nicht ihr Ding“. Doch wenn bei der Gymnastikstunde Heidi Kabel aus dem kleinen silbernen CD-Player schallt, stimmen auch Karin Hoffmann (90) und Siegrid Dreßler (87) mit ein. „Da muss man einfach mitsingen und es fällt ja auch nicht auf, wenn es schief ist.“

Was vorher alltäglich war, ist heute etwas Besonderes. Monatelang haben die Bewohner in ihren Zimmern gegessen. Zwar hat jeder ein Appartement (25 bis 70 Quadratmeter) mit eigenen Möbeln. Doch es gab keine Freizeitangebote, kein gemütliches Beisammensein, kaum Besuche. Der liebgewonnene Alltag – auf einmal ausgesetzt. Die einzige Abwechslung: Runden im Garten drehen.

Zurück zur Normalität in Seniorenheimen und Tagespflege?

Kegeln? Gerne, aber mancher Besucher bleibt dabei lieber sitzen.

Foto:

Florian Quandt

„Wir haben uns zum Spazierengehen regelrecht gezwungen, um Bewegung zu bekommen“, sagt Karin Hoffmann. Ihre Mitbewohnerin Siegrid Dreßler lacht. „Ja, in Gedanken habe ich immer wieder auf dem Zimmer Sport gemacht.“ An der Umsetzung hat es dann aber jedes Mal gehapert.

Abwechslung in Corona-Zeiten: Runden im Garten drehen

Dennoch haben sich die beiden Damen, die sich beim Spielenachmittag kennenlernten, trotz der Einschränkungen nicht eingesperrt gefühlt. „Die Maßnahmen waren notwendig. So isoliert wie andere waren wir auch nicht“, sagt Siegrid Dreßler. Im Garten hätten sie sich mit anderen Bewohnern auf Abstand getroffen.

Das könnte Sie auch interessieren: „Wir fallen durchs Raster“: Hamburger Seniorin über die Belastung in der Pandemie

Trotz der Unsicherheit hatten die Frauen die ganze Zeit über keine Angst. Siegrid Dreßler überlegt. Doch, einmal hätte sie zumindest große Sorge gehabt. Als sie spätabends ins Krankenhaus musste und festgestellt wurde, dass sie Fieber hat. „Mein erster Gedanke war, was ist, wenn ich positiv bin. Es ging nicht darum, was mit mir ist. Sondern darum, was ist, wenn ich das ins Haus schleppe.“

Leiterin des Hartwig-Hesse-Hauses Anke Kruse.

Anke Kruse (48) ist die Leiterin des Hartwig-Hesse-Hauses in Rissen. 

Foto:

Florian Quandt

Die Angst war unbegründet. Im Hartwig-Hesse-Haus gab es laut Geschäftsführer Maik Greb während der ganzen Zeit nicht einen einzigen Corona-Fall. Und das bei 111 Mitarbeitern und 111 Bewohnern – von denen die Älteste 105 Jahre alt ist. „Darüber sind wir sehr glücklich. Der Verlust von Bewohnern wäre furchtbar gewesen“, sagt Leiterin Anke Kruse (48), die seit 30 Jahren im Haus arbeitet.

Nicht ein Corona-Fall im Hartwig-Hesse-Haus

Die Leiterin weiß: Anfangs herrschte große Verunsicherung. „Manche Senioren haben sich völlig zurückgezogen.“ Mittlerweile sind mehr als 90 Prozent der Bewohner vollständig geimpft. Sie dürfen sich wieder ohne Abstand und Maske treffen, zu zweit im Speisesaal essen, Angebote wie Singen, Basteln oder Bingo-Nachmittage wahrnehmen und das Wichtigste: Getestete Besucher dürfen zu zweit und so lange kommen, wie sie möchten. Und nicht nur eine Person zweimal eine halbe Stunde die Woche.

Das könnte Sie auch interessieren: Mitarbeiter ließen sich nicht impfen – Bewohner sterben

Die Lockerungen schaffen endlich wieder Normalität. Für die Pflegekräfte ist die Situation jedoch nach wie vor angespannt. Besonders das ununterbrochene Tragen der FFP2-Masken und der fehlende Körperkontakt zu den Bewohnern sind schwierig. „Gerade demente Menschen brauchen die Berührung als Basis“, sagt Matthias Blümel (39).

Matthias Blümel.

Macht sich Sorgen um fehlenden Nachwuchs: Ausbilder Matthias Blümel (39). 

Foto:

Florian Quandt

Er kümmert sich als Praxisanleiter um die Auszubildenden des Seniorenheims. Kein leichter Job. Es gibt immer weniger Bewerber. Altenpflege? Für viele ein völlig unattraktiver Beruf. „Das Nachwuchsproblem wird immer größer. Der Personalschlüssel, die Schichtarbeit und Bezahlung schrecken die Bewerber ab“, sagt Matthias Blümel. Er fordert eine angemessene Bezahlung für den körperlich und auch seelisch belastenden Job. „Mit dem Gehalt, insbesondere für die Hilfskräfte, ist ein sorgloses Leben nicht möglich. Da muss mehr drin sein.“ Besonders in solch belastenden Zeiten.

Rückkehr zur Normalität: Singen, Basteln, Bingo-Nachmittage

Ortswechsel: Die Tagespflege im Parkquartier am Mühlendamm (Hohenfelde). Hier werden von morgens bis nachmittags Senioren betreut, die in ihren eigenen Wohnungen leben. Wie die 95-Jährige Ursula. Seit vier Jahren kommt sie zweimal in der Woche. Egal, was ist. Sie ist da. Für die Seniorin, deren Mann und Tochter bereits verstorben sind, ist die Tagespflege der wichtigste Inhalt ihres Alltags. „Das ist wie eine große Familie. Wir vertrauen uns und tauschen uns aus. Ich bin glücklich, wenn ich hier bin.“

Ursula (95) in der Tagespflege

Ursula (95) kommt zweimal die Woche in die Tagespflege. Ohne die Einrichtung wäre sie völlig isoliert. 

Foto:

Florian Quandt

Während des Lockdowns war die Einrichtung wochenlang geschlossen. Eine traurige Zeit für die alte Dame. Sie war wie viele andere völlig isoliert. „Wenn man so alleine ist, fehlt etwas. Meine Tapeten antworten leider nicht“, sagt die Frau leise. Sie versucht ein Lächeln.

Wochenlang isoliert: „Wenn man so alleine ist, fehlt etwas.“

Die 95-Jährige ist dankbar, dass die Einrichtung wieder öffnen darf. Allerdings sind von den 14 Plätzen nur sieben belegt. „Die Menschen haben einfach Angst. Dabei haben wir ein Hygienekonzept und die meisten Besucher sind geimpft“, sagt Leiterin Mareike Kobel (40). Sie und ihr Team versuchen wieder ein wenig Leichtigkeit und Lachen in den Alltag der Senioren zu bringen. Mit gemeinsamem Kochen, Spaziergängen, Basteln, Musik und Sportangeboten.

Das könnte Sie auch interessieren: Mobilität in Corona-Zeiten: Hamburgs Rikscha-Service für Senioren

Für heute hat die Chefin etwas Besonderes organisiert. Ein Terrassen-Konzert hinter dem Haus. Es ist ihr Geburtstag und den möchte sie mit den Senioren feiern. Als Sängerin Désirée beginnt, herrscht Stille. Doch dieses Mal ist es keine bedrückende, gespenstische. Es ist eine friedliche. Ein besonderer Moment – auf dem Weg zurück zur Normalität.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp