Eingang des UKE
  • Im UKE kam es an Ostern 2011 zu einem tragischen Behandlungsfehler. Jetzt sprach das Landgericht sein Urteil.
  • Foto: picture alliance/dpa

Kind (13) wegen Ärztefehler schwerstbehindert: UKE verurteilt

Ein 13 Jahre alter Junge wird mit der Diagnose „Hirntumor“ in das UKE eingeliefert – kurz vor Ostern 2011. Statt sofort zu operieren, verschieben die zuständigen Ärzte den Eingriff auf den Dienstag nach den Feiertagen. Fatale Folge: Es kommt zu einer Komplikation, der Patient ist seitdem schwerstbehindert. Zehn Jahre nach der tragischen Fehlentscheidung der Chirurgen hat das Landgericht das UKE nun zu hohen Geldzahlungen verurteilt. Das Krankenhaus kann Rechtsmittel einlegen.

Der junge Patient, Jahrgang 1997, hatte seit Februar 2011 unter starken Kopfschmerzen, Erbrechen und „Doppelbildern“ gelitten. Am 20. April 2011, Mittwoch vor Ostern, brachte ein MRT die schlimme Diagnose: großer Hirntumor, links hinter der Stirn, bis zu sieben Zentimeter Durchmesser. „Sofortige Operation, noch vor Ostern“, stellte der Radiologe fest.

Ärztefehler: UKE soll 450.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Es gab aber eine gute Nachricht: Der Tumor war gutartig und lag für eine Operation günstig. Die Chancen, dass der Schüler geheilt werden und sein ganz normales Leben weiterführen kann, standen gut. Stattdessen ist der junge Mann, inzwischen 23 Jahre alt, schwerstbehindert, Pflegestufe fünf, rechtsseitig gelähmt, kann kaum sehen und spricht schwer verständlich. Er wird niemals ein selbstbestimmtes Leben führen, keinen Beruf ergreifen, keine Familie gründen. Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen?


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Der Jugendliche kam nach der Tumordiagnose zunächst in das Altonaer Kinderkrankenhaus, wo die Ärzte die Dringlichkeit der OP bestätigten und den Patienten nach telefonischer Ankündigung am 21. April 2011 – Gründonnerstag – an das UKE überwiesen.

Anders als ihre hochalarmierten Kollegen kamen die UKE-Ärzte jedoch zu dem Schluss, dass der Junge kein Notfall sei – und setzten die OP für den 26. April an, den Dienstag nach den Feiertagen. Die Personaldecke sei dünn, es sei über Ostern kein Kinderneurologe verfügbar. Bis zur OP sollten die starken Schmerzen des Teenagers mit Cortison behandelt werden.

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Was in den folgenden Tagen geschah, schilderten die Familie des Jungen und das UKE vor Gericht sehr unterschiedlich. Die Schwester, die bei ihrem Bruder im Krankenhaus schlief, beschreibt dramatische Szenen in der Nacht zum Ostersonntag. Ihr Bruder habe gegen 5 Uhr morgens plötzlich geschrien und geweint vor heftig einschießenden Kopfschmerzen, sie habe ihn angesprochen, er habe sie nicht hören können. Seine Arme hätten gezittert. Die Abstände zwischen den Schmerzanfällen seien immer kürzer geworden, die Krankenschwester habe mitgeteilt, man könne nur abwarten, derzeit sei kein Arzt da.

Hamburger Landgericht: Urteil gegen Uni-Klinik

Seitens des UKE hingegen wurde dem Gericht hingegen mitgeteilt, dass der junge Patient bis 5.40 Uhr in jener Nacht „ruhig und entspannt geschlafen“ habe. Erst um 6.15 Uhr sei es zu „einschießenden Kopfschmerzen“ gekommen, der Junge sei aber orientiert gewesen.

Fest steht: Um 8.45 Uhr am Ostersonntag war der Schüler nicht mehr ansprechbar, krampfte, musste beatmet werden. Die Chance, dem Jungen trotz seiner schweren Erkrankung ein normales Leben zu retten, war vertan: Der Tumor hatte ausgeblutet, eine Not-OP wurde durchgeführt. Statt mit guten Heilungsaussichten zu seiner Familie zurückzukehren, lag der 13-Jährige zwei Monate auf der Intensivstation des UKE, musste anschließend elf Monate in die Reha, behält schwere Schäden.

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Sieben Gutachter kamen in den folgenden Jahren zu dem Schluss, dass im UKE Behandlungsfehler passiert sind. Jahrelange Versuche der Familie, sich mit Hilfe dieser Gutachten außergerichtlich mit der Haftpflichtversicherung des UKE zu einigen, scheiterten jedoch. 2017 reichte der Vater Klage beim Landgericht Hamburg ein. Auch der vom Gericht bestellte Sachverständige kam zu dem Schluss, dass die UKE-Ärzte falsch gehandelt haben.

Hamburg: Grobe Behandlungsfehler im UKE

Am 23. Juni 2021 sprachen die Richter ihr Urteil: 450.000 Euro Schmerzensgeld plus Übernahme aller entstandenen und zukünftigen Kosten (AZ 336 O 438/17). „Es ist davon auszugehen, dass dem Kläger im Falle einer standardgerechten Behandlung, insbesondere einer Operation des Hirntumors spätestens am 23. April 2011, sämtliche verbleibenden neurologischen Ausfälle erspart geblieben wären“, so die Kammer. Der späte OP-Termin sei „ein grober Behandlungsfehler“ – der schlimmste Vorwurf, den man Ärzten machen kann.

Dass an Ostern weniger Ärzte und Pflegepersonal vor Ort sind, ist für die Richter „kein nachvollziehbarer Grund“, eine OP um sechs Tage zu verschieben: „Für die Operation benötigte man angesichts der Lokalisation des Tumors gerade keinen ausgewiesenen speziellen Kinderneurochirurgen“, heißt es in dem Urteil.

Rechtsanwalt Malte Oehlschläger vertrat den jungen Patienten vor dem Landgericht Hamburg kanzlei/hfr
Rechtsanwalt Malte Oehlschläger
Rechtsanwalt Malte Oehlschläger

Rechtsanwalt Malte Oehlschläger, Fachanwalt für Medizinrecht, hat die Familie in dem Rechtsstreit vertreten. Dass es erst zehn Jahre nach den tragischen Ereignissen im UKE ein Urteil gibt, überrascht ihn nicht: „Es ist die Tendenz zu beobachten, dass die Versicherungen immer mehr auf Zeit spielen“, so der Jurist gegenüber der MOPO: „Davon dürfen sich die Geschädigten unter keinen Umständen entmutigen lassen. Der Kampf lohnt sich, denn es geht nicht nur um Geld, sondern um Lebensqualität.“

Hohes Schmerzensgeld für UKE-Patient

Wird das Urteil rechtskräftig, dann kommen Ansprüche von mehreren Millionen Euro auf die Haftpflichtversicherung des UKE zu. Der junge Mann hat trotz seiner schweren Behinderung eine normale Lebenserwartung und es gilt das, was Juristen „Naturalrestitution“ nennen: Nicht nur Behandlungskosten, Umbauten und Therapien müssen bezahlt werden, sondern auch die entgangenen Einkünfte, die er in seinem Berufsleben hätte erzielen können. Oehlschläger: „Die Summe dieser Beträge stellt ein Vielfaches des Schmerzensgeldes dar.“

Das UKE wollte sich auf Anfrage der MOPO nicht zu dem Urteil äußern.

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