Bestseller-Dichterin Clara Lösel: „Manchmal denke ich, das ist alles gar nicht echt!“
Franzbrötchen kaufen. Das ist immer das Erste, was Clara Lösel in Hamburg macht. Auch heute. Obwohl sie schwer im Stress ist. Interviews, schreiben, proben. Ihre Tage sind streng getaktet. Mit ihrem Bestseller „Wehe du gibst auf“ geht die Dichterin auf Tour. Es ist das erste Buch der 26-Jährigen, die auf Social Media mit ihren Gedichten Millionen erreicht. Im MOPO-Interview spricht sie über Hasskommentare, die sie schmerzen, erklärt, wie sie mit dem Erfolg umgeht, ihrem größten Fluch, der zugleich ihr größter Segen ist, und wobei sie abschalten kann.
MOPO: Gedichte schreiben – das ist irgendwie old school. Wie bist du dazu gekommen, dich der Lyrik zu widmen?
Clara Lösel: Mein verstorbener Opa hat mir und meinem Bruder früher immer Geschichten erzählt. An ihm ist der beste Autor verloren gegangen. Das war der Anfang von allem.
Und wie hat es angefangen, dass du deine Texte vorgelesen, dich dabei gefilmt und die Videos auf Social Media geteilt hast?
Vor knapp zwei Jahren habe ich eine Hundert-Tage-Challenge gemacht und hundert Tage lang jeden Tag einen Text geschrieben und gepostet. In der festen Überzeugung, dass es niemanden jucken würde. Ich dachte: „Lyrik, das ist ultraeingestaubt.“ Doch dann kamen in der Zeit die ersten Hunderttausend Follower. Mein Gedicht „Faschisten-Döner“ ging durch die Decke.
Was inspiriert dich?
Das Leben. Manchmal sind es Songzeilen, manchmal Filme. Aber hauptsächlich, wenn mir oder Menschen um mich herum irgendwas passiert. Ich mache mir sehr viele Gedanken um die Welt. Ich wünschte manchmal, ich könnte meinen Kopf mal ausschalten. Es ist ja häufig so: Der größte Fluch eines Menschen, ist oft auch sein größter Segen. Mein Kopf ist viel am Arbeiten. Alles, was passiert, beeinflusst mich krass. Schreiben ist meine persönliche Bewältigungsstrategie, um in dieser Welt klarzukommen.
Kommst du irgendwann mal zur Ruhe und kannst abschalten?
Manchmal klappt es besser, manchmal schlechter. Beim Schreiben komme ich runter. Ansonsten habe ich einen kleinen, engen Kreis der besten Menschen der Welt um mich, bei denen ich abschalten kann. Sonst helfen auch Natur und Tiere. Ich renne zu jedem Hund, der mir begegnet, und schmeiße mich auf den Boden.
Liest du selber viel?
Eigentlich nicht. Ich bin keine Leseratte. Eines der schönsten Komplimente für mein Buch ist, wenn mir Leute sagen, dass sie eigentlich nicht gerne lesen, aber Bock auf mein Buch haben.
In deinen Texten geht es unter anderem um Verlust, unerfüllte Liebe, um Schönheitswahn, Politik, Mobbing und Selbstwert. Was möchtest du mit deinen Gedichten erreichen?
Ich möchte Menschen Mut machen, ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Und ich möchte zeigen, dass auch ihre Worte Macht haben und ihre Stimme wichtig ist.
Du hast einen rasanten Aufstieg hingelegt, erreichst auf Social Media ein Millionenpublikum. Wie fühlt sich das an?
Da kriegt man Schnappatmung, wenn man drüber nachdenkt. Das ist die Ehre meines Lebens. Häufig kann ich es gar nicht fassen und denke, dass das nur in meinem Handy ist. Alles gar nicht echt. Ich sitze alleine in meinem Zimmer, wenn ich die Texte schreibe, drehe und auf veröffentlichen drücke. Aber ich merke auch immer mehr die Verantwortung, die mir Leute auferlegen wollen und mir sagen, wozu ich mich äußern oder nicht äußern soll. Früher waren es vielleicht fünf. Heute haben 20 Millionen Menschen im Monat eine Meinung.
Wie hast du gelernt, mit all dem Feedback umzugehen?
Ich musste in diesen zwei Jahren lernen, an meinem Selbstwert festzuhalten, an meinem Selbstbewusstsein und meiner mentalen Gesundheit. Du musst lernen, mit dem Hass umzugehen, aber auch mit der riesigen Bedeutung, die du für manche Menschen hast. Das ist nicht leicht. Trotzdem ist es mir sehr wichtig, mich weiter mit den Leuten auf Social Media austauschen. Viele schreiben mir, dass meine Texte ihnen durch schwere Zeiten geholfen haben. Sei es Entzug, Therapie, Krankheit, Scheidungen, Liebeskummer oder Mobbing. Das berührt mich. Besonders krass finde ich, dass sich die Menschen meine Worte sogar tätowieren lassen.
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Wie häufig bekommst du Hasskommentare?
Ich bekomme überwiegend positive Kommentare. Vorgestern hat allerdings jemand geschrieben: „Ich hoffe deine Kinder werden vergewaltigt.“ Das sind Momente, in denen es mich richtig ins Herz trifft. Das tut mir weh. An vielen anderen Tagen ist mein Rezept, nicht alles zu lesen. Das Handy auszumachen. Wenn Hasskommentare wie „Bring dich um“ oder so etwas kommen, die Leute zu blockieren und zu melden. Meine Mutter fragte mich letztens, ob ich mich noch politisch äußern will. Sie hat Angst um mich. Ich möchte da aber nicht so viel drüber reden, sonst bekomme ich auch Angst.
Dann zurück zu den schönen Momenten. Dein jüngstes Projekt ist ein Song. Gemeinsam mit Florian Künstler hast du das Lied „Alles geht vorbei“ gesungen. Wie kam es dazu?
Ich habe sehr viel Musik-Background. Meine Eltern haben sich im Gesangsstudium kennengelernt, mein Bruder ist in einer Band, ich habe Geige, Klavier und Gitarre gespielt. Das habe ich bisher aber nicht nach außen getragen. Der Song ist zufällig entstanden. Ich schreibe für und mit verschiedenen Sänger:innen, war mit Flo im Studio und habe für ihn spontan die Backing Vocals aufgenommen. Das hat ihm so gut gefallen, dass er wollte, dass ich als Feature dabei bin. Aber das Schreiben steht für mich nach wie vor an erster Stelle.
Du hast Deutsch und Spanisch auf Lehramt studiert – hast du eigentlich noch vor, Lehrerin zu werden?
Nächstes Jahr will ich mit Workshops auf eine Schultour gehen. Ich mache immer wieder mal Workshops zu kreativem Schreiben und Poetry Slam an Schulen. Ich liebe das, mit den Schülern zu arbeiten. Aber ich bin gerade unendlich happy mit dem, was ich machen kann.
Du gehst jetzt mit deinem Bestseller „Wehe du gibst auf“ das erste Mal auf Tour. Was erwartet deine Gäste?
Neben einigen bekannteren Texten wird es auch ganz neue geben, die ich noch nicht veröffentlicht habe. Ich erzähle die Geschichten hinter einigen Texten. Warum ich sie geschrieben habe und für wen. Und ein Pianist wird dabei sein und mich begleiten. Ich freue mich sehr drauf.
Laeiszhalle: 21.11., 19.30 Uhr, Karten 29,90/34,90 Euro
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