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Pawel Durow
  • Der Erfinder von Telegram, Pawel Durow, wird von russischen Oppositionellen verehrt.
  • Foto: imago images

Das radikale Tech-Genie mit der „gefährlichsten App der Welt“

Sammelbecken radikaler Verschwörungstheoretiker und Antisemiten, Lieblings-App von Terroristen wie Demokratie-Aktivisten: Die App Telegram ist umstritten und verrufen. Ihr Erfinder, der Russe Pawel Durow, ist ein mysteriöses Tech-Genie. Wer ist „Russlands Zuckerberg“, der mit seiner App eine digitale Weltmacht und ein „dunkles Imperium“ („Spiegel“) schuf – und was ist seine Vision?

Das Besondere an Telegram: Anders als die US-Tech-Giganten Google und Facebook kooperiert die Plattform nicht mit Staaten und Behörden – und es gibt so gut wie keine Zensur. Ob Neonazis, Islamisten, Kriminelle oder Widerstandskämpfer – jeder kann schreiben, was er will, über Telegram werden Anschläge geplant, Revolutionen koordiniert und massiv Drogen verkauft. Deshalb wird sie von vielen als „gefährlichste App der Welt“ bezeichnet.

In Telegram-Gruppen können bis zu 200 000 Personen chatten

Mittlerweile haben 570 Millionen Smartphones weltweit die App runtergeladen – Tendenz stark steigend. Vor allem durch Corona sind es noch mal Millionen mehr Nutzer:innen geworden, auch in Deutschland.

Denn mit Telegram lässt sich ein Massenpublikum erreichen. So können in den geschlossenen oder öffentlichen Gruppen bis zu 200.000 Personen miteinander chatten – eine unglaubliche Zahl. In Kanälen können Betreiber ihre Botschaften gar an eine unbegrenzte Zahl von Abonnenten senden.

Vor allem in repressiven Ländern ist Telegram immens wichtig für Demokratie-Aktivisten, etwa in Hongkong, Belarus oder Iran. In Deutschland jedoch machten sich das vor allem die Querdenker zunutze. „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg nannte die App sogar „einen der zentralen Erfolgsfaktoren“ seiner Bewegung. Doch bei Pandemie-Leugnung allein blieb es im deutschen Telegram nicht, schnell mischten Neonazis und „Reichsbürger“ mit.

Attila Hildmanns Kanal nicht mehr abrufbar

Prominentester Schwurbler: Vegan-Koch und Coronaleugner Attila Hildmann, auf dessen Kanal sich vor allem Antisemitismus und Holocaust-Leugnung der übelsten Sorte finden. Auch Sänger Xavier Naidoo radikalisierte sich auf Telegram – und teilte massenhaft extremistische Inhalte auf seinem Kanal.

Seit Dienstag ist Hildmanns Kanal überraschend von Mobilgeräten, die ein Apple- oder Google-Betriebssystem nutzen, nicht mehr aufrufbar. Ein mehr als ungewöhnlicher Schritt für Pawel Durows App, auf der bisher kein aktives und systematisches Vorgehen gegen strafbare Inhalte erkennbar ist.

So kursieren in dem Messenger nicht nur Feindeslisten mit Namen und Adressen von Politikern, sondern in manchen Kanälen wird auch erklärt, wie sich Sprengstoffe herstellen, Waffen bauen und tödliche Gifte mischen lassen. Anbieter für Falschgeld und gehackte Daten sind ebenfalls zu finden. Der Breitscheidplatz-Terrorist Anis Amri chattete vor dem Anschlag über die App mit IS-Terroristen in Libyen. Offiziell heißt es zwar dazu, dass illegale Inhalte nicht erlaubt seien. Allerdings nur in der Theorie.

Telegram verweigert Ermittlern Zugriff auf Nutzerdaten

Denn Telegram verweigert konsequent Anfragen von Ermittlern auf Nutzerdaten von kriminellen Kanälen und erklärt stolz auf der Website: „Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben, einschließlich aller Regierungen.“

Die Rechtslage spielt Durow noch in die Karten. Die Politik will Internetkonzerne seit Jahren regulieren, aber Messenger-Apps werden von Gesetzen kaum erfasst. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Facebook, YouTube und Twitter hierzulande verpflichtet, strafbare Inhalte an das BKA zu melden, gilt nicht für Telegram.

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Das Innenministerium hat Telegram als Problemfall eingestuft. Wenn die Firma nicht kooperiere, sei es sogar denkbar, die Plattform in Deutschland zu sperren. Nach Informationen des „Spiegels“ verlangt das Justizministerium von Telegram, sich dem Gesetz zu unterwerfen. So wäre die Plattform verpflichtet, für Behörden erreichbar zu sein, strafbare Inhalte zu löschen und Nutzerdaten aktiv an die Ermittler weiterzugeben.

Durow entzieht sich weitgehend der Öffentlichkeit

Auch Durow selbst gibt sich größte Mühe, unsichtbar zu bleiben: Durch ein undurchsichtiges Firmengeflecht hat er staatliche Zugriffe bislang abgewehrt. So wussten Ermittler lange Zeit nicht, wie sie Telegram überhaupt erreichen. Mittlerweile gibt es eine Anschrift in Dubai.

Über den Mann mit dem jungenhaften Gesicht, der aus einem russischen Akademiker-Haushalt stammt, ist nicht viel bekannt. Nur selten äußert er sich über seine eigene App oder Instagram öffentlich. Aber nie zu den Inhalten, die negative Schlagzeilen machen.

Telegram entwickelte er 2013 quasi aus der Not. Über sein erstes Netzwerk VKontakte, einer russischssprachigen Facebook-Kopie, riefen oppositionelle Gruppe zu Demonstrationen auf – das Netzwerk landete so auf dem Radar des russischen Inlandsgeheimdienst FSB.

Nachdem sich Durow der Aufforderung des FSB widersetzt hatte, die Gruppen zu schließen, standen bewaffnete Kräfte der Sonderpolizei vor seiner Tür. Da wurde Durow klar: Er brauche einen sicheren Kommunikationskanal. Kurz darauf begannen die Arbeiten an Telegram.

Telegram-Entwickler widersetzt sich Aufforderung des FSB

Später weigerte sich Durow, Daten ukrainischer User an den FSB zu übergeben, die gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten protestierten. Durow flog aus seiner eigenen Firma, in die sich bereits ein kremlnaher Unternehmer eingekauft hatte, und verließ Tage später seine Heimat Russland.

Bei Protesten der russischen Opposition wird bis heute sein ikonenhaftes Bild von Demonstranten emporgehalten. Ist Durow also ein Freiheitskämpfer? Eher eine Art Anarchist, der das Konzept von Staaten ablehnt, wie er einmal gesagt hat.

Mit einem gekauften Pass eines Karibik-Staates landete Durow ausgerechnet im autokratischen Dubai – und baut hier seine App weiter aus. Bis heute erscheint Telegram wie ein Paralleluniversum, aus dem nur wenig an die Öffentlichkeit gelangt. Neben Pawel Durow soll vor allem sein älterer Bruder Nikolaj als Technik-Chef im Hintergrund agieren.

Telegram: Durow soll es nicht um Geld gehen

Ex-Mitarbeiter Anton Rosenberg beschreibt das Telegram-Team im „Spiegel“ als Durows „Sekte“. Es sei eine verschworene, geschlossene Gemeinschaft, in der allein Pawel Durow das Sagen habe – und in der es offenbar keine Frauen gibt. Und: Im Gegensatz zu anderen Tech-Milliardären geht es dem „russischen Zuckerberg“ wohl vor allem um Einfluss und Anerkennung – und nicht um Geld.

Wie es um Telegrams Finanzen bestellt ist, bleibt dabei Durows Geheimnis. Bis 2017 habe er rund 218 Millionen Dollar in Telegram investiert, alles aus seinem Privatvermögen, erklärte Durow einst. Beim Verkauf seiner verbliebenen VKontakte-Anteile hatte er nach übereinstimmenden Schätzungen zwischen 300 und 400 Millionen Dollar erlöst.

Einmal faltete er massenhaft Banknoten zu Papierfliegern und warf sie zum Spaß aus dem Bürofenster – so entstand das Logo der App. Mit 28 Jahren habe er über „Hunderte Millionen“ verfügt, so Durow. „Aber das hat mich nie glücklich gemacht.“

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